Menschen hatten nie so viel Zugang zu Informationen, Aufklärung und Wissen wie heute.
Gerald Hüther, der bekannte Hirnforscher, brachte es auf den Punkt. „Wir informieren uns zu Tode!“
Doch der Zustand der Welt zeigt deutlich, dass es nicht nur die kognitiven Fähigkeiten und das Wissen des Menschen sein können, die uns und unserem Planeten auf Dauer weiterhelfen.
Was aber kann uns Menschen helfen, uns selbst und die Welt zu heilen?
Es ist unsere Berührbarkeit.
Wir haben uns zu denkenden Menschen mit verschlossenem Herzen entwickelt und daran krankt die ganze Welt. Wenn wir aber berührbar sind, dann verstehen wir unser Eingebundensein in diese Welt nicht nur kognitiv, sondern wir erleben sie körperlich, emotional und energetisch. Berührbarkeit hat die Macht, das innere abgetrennt und eingefroren sein zu überwinden.
An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass berührbar sein nicht bedeutet, uns von unseren Emotionen beherrschen zu lassen oder emotional labil zu sein oder gar ständig von Gefühlen überschwemmt zu werden. Es bedeutet eher ein bewusstes Ja zu mir und meiner Fähigkeit zu fühlen und zu empfinden.
Es gibt Gründe, warum Fühlen im Laufe des Lebens verkümmert. Als Kind waren wir zu hundert Prozent berührbar und hatten intensive und viele Gefühle. Das war oft zu viel für den kindlichen Körper und die kindliche Seele, so dass eine Art „Gefühlsabwehr-System“ aktiviert wurde. Das kann man auch als einen Überlebensmechanismus bezeichnen.
Doch was wir einst aus wichtigem Grund gelernt haben, ist später hinderlich. Warum hinderlich?
Jedes Gefühl ist ein emotionaler und zugleich ein körperlicher Zustand, der mit einer bestimmten Spannung und einer Art Ladung verbunden ist. Wenn wir unsere Gefühle nicht wahrnehmen und fühlen, bleibt der Spannungszustand, der durch sie erzeugt wird, in unserem Körper zurück. Die Folge kann Schmerz und Krankheit sein. Dies hat die Wissenschaft der Psychosomatik nachgewiesen.
Nicht berührbar zu sein macht uns auch in unseren Beziehungen unpersönlich, glatt und unglücklich. Auch unseren Kindern machen wir ein großes Geschenk, wenn wir selbst berührbar und lebendig sind, sie bekommen dadurch Vertrauen in sich selbst und in ihre Gefühlswelt.
Wie sieht der Weg aus, die Trennung zwischen rechter und linker Gehirnhälfte aufzuheben?
Dieser Weg heißt bewusste Berührbarkeit und bewusstes Fühlen. Fühlen bedeutet, bei sich zu sein statt außer sich. Der Aufmerksamkeit eine neue Richtung zu geben, sie von den Gedanken und den Projektionen unserer Gedanken abzuziehen und zu uns selbst zu bringen.
Die Lenkung unserer Aufmerksamkeit kann man lernen, z.b. in der „Heldenreise“, die das Psychotherapie-Dozenten-Team seit vielen Jahren anbietet. In der Heldenreise geht es genau darum, zu sich nach Hause zu kommen, zurecht rücken, was verworren und verrückt war. Wieder wahrzunehmen, was uns wirklich gut tut und was nicht. Mit anderen Worten, die Heldenreise hilft uns, unsere wahrere Natur wiederzufinden und uns entsprechend unserer Natur zu verhalten und damit in der Welt zu sein.
Weitere Texte
Ruhe inmitten des Sturms – Im Zentrum des Zyklones wohnt, wer still in seiner Mitte ruht
Wusstest Du, dass tropische Zyklone die größten Stürme auf unserer Erde sind?
Durch Satellitenbilder wissen wir, wie die Sturmsysteme aussehen: Wälle hoch reichender Wolken kreisen rasend schnell um ein „Auge“.
Für die Meteorologen ist das Auge wichtig: Sobald es sich bildet, wissen sie, dass ein Tropensturm zum Zyklon wurde, und sie können dessen künftige Stärke abschätzen.
Das innere Auge der Ruhe ist also nur dann da, wenn die Naturgewalt besonders stark wütet und die Macht der Zerstörung in sich trägt.
Ist das nicht faszinierend? Zwei entgegengesetzte und eigentlich unvereinbare Kräfte sind hier untrennbar vereint.
Dieses Phänomen, das die Natur seit Urzeiten zur Schau stellt, möchte ich aufgreifen und auf unsere Innere Welt übertragen: Die Welt unserer Gedanken, Gefühle und Impulse.
Was können wir lernen von solch einer Urgewalt, die im Innersten still ist?
Wo finden wir denn die Ruhe, wenn die Welt verrückt spielt und diese Verrücktheit uns in ihren Sog hineinzieht? Wenn wir durch andauernde Warnungen und Mahnungen in den Medien, drohender Inflation und Klimakatastrophe in einer Art Dauerangst, Resignation oder gar Depression stecken? Wenn Ausgrenzung und Spaltung in unserer Gesellschaft heftige Gefühle von Ohnmacht, Verzweiflung und Zorn entstehen lässt? Wenn die Gedanken unaufhörlich im Kopf kreisen und wir nicht mal mehr in den Schlaf, geschweige denn innere Ruhe finden können?
Oder wir schon in unserer Kindheit schwerwiegende negative Erfahrungen machen mussten und seitdem mit einer tief sitzenden Überzeugung durchs Leben gehen, dass wir nicht liebenswert sind und keine Liebe verdient haben?
Wo ist die innere Tür zum Ruheraum in unserer Seele?
Zuallererst müssen wir wissen, dass die Ruhe nicht im eigentlichen Sinne erlernt werden muss, sondern dass Stille und Ruhe eine der Seele innewohnende Qualität ist. Leider haben wir den Zugang dazu verloren, was verschiedene Gründe hat, die einerseits in unserer Entwicklungsgeschichte und andererseits in unserer von Expansion getriebenen Gesellschaft zu finden sind.
Um eine innere stille Mitte wiederzufinden, müssen wir – um im Bild des Zyklons zu bleiben – die Wolkentürme auflösen oder durch sie hindurch gelangen. Psychische Wolkentürme sind oft alte biografische Lasten und kindliche Verletzungen, die dann viele Jahre später durch krisenhafte Anlässe wieder aktiviert werden können und an die Oberfläche drängen. Die Folge ist Angst, Erregung und Unruhe und ein sich im Kreis drehendes Gedankenkarrusell.
Wie ist es uns möglich, wieder mehr Ruhe, Entspannung und Gelassenheit zu finden und zu fühlen?
Hier sind ein paar Anregungen für alle, die sich nach mehr Frieden sehen:
Atme tiefer, atme vor allem tief aus und mache dich leer
Lenke deine Aufmerksamkeit nicht nur auf die äußere Welt, sondern nimm dich selbst wahr
Schau dir an, was im Rucksack deiner Familiengeschichte ist und versöhne dich mit deiner Vergangenheit
Lerne dein inneres Kind kennen und lerne es zu beruhigen
Beachte deine Körperspannungen und verstehe, was dich verspannt macht
Nimm deine Gedanken nicht so ernst und spüre dein Herz und deinen Bauch
Ich wünsche Dir Ruhe und Gelassenheit im Sturm und habe keine Angst vor den Wolkentürmen, denn sie sind Teil des Himmels.
Corona-Zeiten
Gedanken zur Zeit – Umarme dein Leben, wie wir uns selbst nah kommen
In diesen Zeiten, wo eine Umarmung oder auch nur die Hand geben viele Menschen verunsichert, finde ich die Möglichkeit „sein Leben zu umarmen“ wesentlicher denn je.
Die Abstands- und Distanzregeln in den letzten Monaten haben teilweise groteske Formen angenommen. Doch dieser Abstand, der zur Zeit ja von vielen Menschen für „überlebensnotwendig“ gehalten wird, spiegelt auch eine innerseelische Dynamik.
Auf Abstand gehen beginnt schon in früher Kindheit, wenn sich das Baby von dem, was es als unangenehm, schmerzhaft oder überwältigend erfährt, reflexartig schützt. In der Psychologie nennt man es die „kindliche Abwehr“. Ist das Erlebte sehr schlimm und traumatisch, so gibt es den grösstmöglichsten Schutzmechanismus, den die Seele kennt, die Dissoziation (dissociare „abtrennen“). Dies ist die psychische Fähigkeit, bei dem extrem schlimmen Erlebnis „nicht dabei zu sein bzw. es so zu erleben, als geschähe es nicht mir selbst“.
Doch reflexartige Schutzmechanismen wie ein auf Abstand gehen zu allem, was schmerzhaft und unangenehm ist oder gar „nicht dabei zu sein beim eigenen Erleben“ war zwar für das hilflose und abhängige Kleinkind überlebenswichtig und ist für ein Traumaereignis eine tröstliche Möglichkeit, bringt aber als Erwachsener viele Probleme mit sich. Auf Abstand gehen zu dem, was ich in meinem Leben oder in meiner Seele erlebe, erzeugt mit der Zeit ein depressives Grundgefühl, Ängste und eine innere Leere. Wir sind dann auf gewisse Weise uns selbst, den Menschen und dem Leben gegenüber entfremdet.
Wenn ich bei all den Problemen, die Menschen mir in meiner psychotherapeutischen Praxis erzählen, einen gemeinsamen Nenner suche, dann ist es der:
Menschen leiden unter einer inneren Entfremdung und sehnen sich gleichzeitig nach Nähe und Liebe. Nur, die Suche nach Nähe und Liebe findet leider am falschen Ort ab. Wir suchen sie beim Anderen, der Andere soll mich lieben, weil ich nur dann fühle, liebenswert zu sein.
Auch hier herrscht wieder das gleiche Prinzip: Für ein Kind ist es normal, dass es bei der Mutter und dem Vater nach Liebe sucht, doch für einen Erwachsenen bringt das Suchen der Liebe bei anderen auf Dauer Probleme mit sich. Warum? Weil wir dann nicht erkennen können, dass es in uns selbst, in den Tiefen unserer Seele, einen Fluss von Liebe und Lebendigkeit gibt.
Die wesentliche Frage ist also: Wie kannst Du deinen inneren Abstand zu dir selbst und zu deinem Leben erkennen und aufgeben, damit du dir selbst nah kommst, damit du wieder fühlen kannst und intensiv und lebendig bist?
Eine mögliche Antwort ist: Indem du Gefühle und Verhaltensmuster, die deinen Alltag dominieren als kindlich erkennst und darüber hinauswächst, weil es unter deiner menschlichen Würde ist, infantil zu bleiben.
Dann kommst du dir nahe, so als ob du dich selbst und dein Leben umarmst.